Harte Zeitenwende – auch in der Immobilienwirtschaft!
Liebe Mitglieder,
ein wahrhaft schwieriges Jahr neigt sich dem Ende zu. Es war eine Art Achterbahnfahrt der Gefühle, wobei die Abwärtsbewegungen dominierten, zumindest in den großen gesellschaftlichen Themen. Wohin man schaut, besorgniserregende Ereignisse und Entwicklungen: Kriege, Unwetterkatastrophen, politische Verwerfungen. Und dann ist da die Rezession: Die Wirtschaft in unserem Land schrumpft nun im zweiten Jahr in Folge. Das traditionelle Rückgrat unserer Industrie, der Automobilbau nebst Zulieferern, scheint im Wettbewerb mit den Unternehmen aus China ins Hintertreffen zu geraten. Diese Multikrise versetzt uns wie selten in den vergangenen Jahrzehnten in einen Zustand der Angst oder zumindest der verstärkten Sorge.
Es zeigt sich zudem, dass die Pandemie die Gesellschaft nachhaltig verändert hat. Das gilt insbesondere für die Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse. Auch wenn das Arbeiten im Home-Office hier und da zurückgedrängt wird, die alten Zeiten allgemeiner Büropräsenz werden nicht wiederkehren. Das hat für die Immobilienwirtschaft gravierende Folgen, gerade in ihrem gewerblichen Teil. Die seit 2009 mit einem scheinbar unendlichen Boom verwöhnte Branche hat den massivsten Einbruch seit Menschengedenken zu bewältigen. Unter den gewerblichen Projektentwicklern liegt die Konkursquote bei bis zu 70 Prozent.
Der Flächenumsatz in den größten Märkten ist um mehr als ein Viertel gefallen, besonders stark in den sieben A-Städten. Ein Einbruch im Bürobau in dieser Größenordnung ist angesichts der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der Bau- und Immobilienwirtschaft ein weiteres bedenkliches Signal für den Zustand des Standorts Deutschland. Maßgebliche Marktteilnehmer sprechen von einem Einbruch, mit dem ein neues niedriges Niveau erreicht wird, das sich als Normalzustand erweisen könnte. Eine massive Konsolidierung erscheint unausweichlich.
Die Entwicklung wird dazu führen, dass Neubauprojekte immer seltener werden. Zu hoch sind die Kosten (etwa für Grundstücke, Baustoffe und Handwerker) und zu niedrig die am Markt erzielbaren Preise. Mit einer raschen Änderung der Lage ist nicht zu rechnen, zu groß ist die allgemeine Verunsicherung durch die schlechte Wirtschaftslage. Auch die Krisen in der Welt dürften sich nicht so rasch erledigen, vielmehr könnte sich der latente Konflikt zwischen Amerika und China zuspitzen.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Revitalisierung von Bestandsimmobilien noch stärker an Bedeutung gewinnen wird. Das gilt insbesondere für Wohngebäude, schließlich steigt hier der Bedarf immer weiter. Das Potential von entsprechenden Gebäuden in guten Lagen hat eine ganze Reihe Investoren denn auch schon für sich entdeckt. Die Risiken sind oft überschaubar, durch energetische Sanierungen lässt sich in überschaubarer Zeit eine erhebliche Wertsteigerung erzielen. Wenn die Zinsen weiter sinken sollten, könnte wenigstens in diesem Teilmarkt ein Hoffnungsschimmer aufkommen.
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Väterchen Staat ein paar Hausaufgaben erledigt. Es muss endlich Schluss sein mit Mietpreisbremsen und anderen Verzerrungen des Marktes, die Investitionen in Mietwohnungen unwirtschaftlich machen und somit verhindern. Davon profitieren nur die Inhaber von alten Mietverträgen, während auf dem eingefrorenen Markt jene in die Röhre schauen, die eine neue Wohnung suchen.
Vor allem aber braucht es hierzulande schlanke Baugesetze und eine großzügigere Verwaltungspraxis bei der Anwendung der vielen Auflagen. Überhaupt müssen die Behörden modernisiert werden: Sie müssen schneller arbeiten und ihre Prozesse komplett digitalisieren. Das würde wie ein Booster auf die Wohnungswirtschaft wirken. Hoffen wir, dass die Staatskanzlei in Wiesbaden und das Justizministerium in Berlin unsere Stoßseufzer erhören.
Mit freundlichen, vorweihnachtlichen Grüßen
Ihr
Jürgen Conzelmann