Die neue Hessische Bauordnung – Chance für mehr Wohnraum?
Liebe Mitglieder,
während ich dieses Editorial verfasse, sind in vielen Bundesländern die Diskussionen um eine Neufassung der Bauordnungen in vollem Gang. Etliche Länder bemühen sich tatsächlich um eine Verschlankung der überbordenden Reglementierung. Dieses Bemühen kommt zum letzten möglichen Zeitpunkt. Womöglich lässt sich damit der taumelnde Wohnungsmarkt noch stabilisieren, bevor der Wohnungsmangel insbesondere in den Groß- und Universitätsstädten zur echten Wohnungsnot wird – mit unabsehbaren politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen.
Alle bekannten Zahlen, insbesondere jene zu Bauanträgen und nicht wahrgenommenen Baugenehmigungen, weisen darauf hin, dass sich die ohnehin schon stark gesunkene Zahl der Wohnungsfertigstellungen noch einmal stark reduzieren wird. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres ist gerade einmal der Bau von knapp 124.700 neuen Wohnungen genehmigt worden, das sind gut zwanzig Prozent weniger als im schon schwachen Vorjahreszeitraum. Und für den Rest des Jahres sind die Prognosen noch schlechter. Damit dürfte in diesem Jahr nicht einmal die Hälfte jener 400.000 neuen Wohneinheiten entstehen, die die Regierung von Olaf Scholz als Ziel ausgegeben hatte.
Auch wenn die Parteien offenbar endlich erkennen, dass dringender Handlungsbedarf besteht, wird es lange dauern, bis sich die Frustration der Akteure auf dem Immobilienmarkt gelegt hat. Schließlich haben die jeweils regierenden Parteien ohne Rücksicht auf die Marktsituation immer neue, massive Belastungen ersonnen, insbesondere hinsichtlich der energetischen Sanierung von Millionen Wohnungen, deren Kosten in vielen Fällen in keinem Verhältnis zum Ertrag in Form von niedrigeren Energiekosten stehen. Diese Entwicklung trifft nicht nur die kleinen privaten Vermieter, sondern auch die Mieter.
Es muss dringend Realismus einkehren, insbesondere unter den Grünen. Die Wohnungsbaugesellschaft Nassauische Heimstätte, deren Aufsichtsratsvorsitzender bis vor kurzem noch ein grüner Minister war, ist ein gutes Beispiel dafür, dass selbst für die wohlmeinendsten Unternehmen im Besitz der öffentlichen Hand eine Grenze erreicht ist. Die Heimstätte hat sich jüngst verabschiedet von Plänen, die eigenen Bestände durch besonders üppige Dämmung energetisch maximal zu ertüchtigen und setzt jetzt stattdessen auf günstigere Maßnahmen. Unter dem Strich ist der Gewinn für den Klimaschutz sogar größer, wenn man sich auf den Einbau von modernen Heizungen und neuen Fenstern sowie die Dämmung von Dächern und Kellerdecken konzentriert. Denn auf diese Weise lassen sich für das gleiche Geld in kürzerer Zeit weit mehr Wohnungen ertüchtigen.
Ein enormes Potential schlummert auch im Ausbau von Dachgeschossen. Auf diese Weise kann von den Eigentümern ressourcenschonend, nachhaltig und vor allem schnell Wohnraum geschaffen werden. So etwas ist bezahlbar und machbar, auch für schmale Budgets. Doch den Bauwilligen wird auch hier das Leben durch eine Vielzahl von unnötigen, aber streng kontrollierten Auflagen schwer gemacht. Daher muss die Forderung lauten: weniger Standards, mehr Großzügigkeit bei den Genehmigungen. Es geht nicht an, dass an einen Altbau der Jahrhundertwende Anforderungen gestellt werden wie an einen Neubau.
Das gilt vor allem für Schallschutz, Dämmung und die Einstufung in höhere Gebäudeklassen. Letztere bedeutet einen Stressfaktor für Brandschutz und Feuerwehr. Auch die Regelungen hinsichtlich der Abstandsflächen sind zu lockern; es muss Schluss sein mit dem aufwändigen und kostspieligen Feilschen mit Nachbarn. Die neue Bauordnung muss daher erweiterte Befreiungsmöglichkeiten schaffen, damit das große Potenzial an Dachgeschoss-Ausbauten und Aufstockungen in zentralen Lagen endlich gehoben werden kann. Und wenn es dann noch gelingt, endlich die unsinnige Praxis zu beenden, wonach praktisch vor jedem Handgriff ein Sachverständiger mit einem Gutachten zu beauftragen ist, wäre der Dachgeschoßausbau auch noch bezahlbar. Gerade die jüngere Generation, Studenten, Facharbeiter oder bescheiden bezahlte Angestellte, nehmen es gern in Kauf, die Treppen zu einer Wohnung im fünften Stock zu laufen, wenn sie im Gegenzug eine entsprechend faire Miete zahlen.
Damit die vorsichtigen ersten Ansätze zu einer Deregulierung greifen, muss der Gesetzgeber unbedingt darauf verzichten, an anderer Stelle zusätzliche Vorgaben zu erlassen, etwa zur Anzahl von Fahrradständern sowie zu begrünten Fassaden, Garagendächern und Müllbehältern. Er sollte auch keine strikten Regelungen zur Vorgartengestaltung formulieren. Hoffentlich ist die hessische Landesregierung klug genug, die Novellierung der Bauordnung zum Wohle aller auf dem Wohnungsmarkt Engagierten auszugestalten– Mieter und Wohnungssuchende würden davon am stärksten profitieren.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Jürgen Conzelmann